Offener Brief an die BaFin: Jüdische Sündenböcke für die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht?

Anstatt Wirecard auf Herz und Nieren zu durchleuchten wurde stattdessen an antijüdische und antiamerikanische Ressentiments appelliert.

10.01.2021

Die BaFin hatte sich gegenüber dem Bundesfinanzministerium bzgl. des Wirecard-Skandals geäußert. Dies u.a. mittels einer deutlich antisemitisch-konnotierten Wortwahl. Daher haben wir den Präsidenten der BaFin angeschrieben und um Antworten auf unsere Fragen gebeten. Herr Hufeld, Präsident der BaFin, hat auf unseren Brief geantwortet und sich für die Formulierungen entschuldigt.

Eine respektable Entschuldigung der BaFin. Danke für die Klarheit und die Verantwortungsübernahme.

Die vollständige Korrespondenz findet sich hier:

10.01.2021 Unser offener Brief an den Präsidenten der BaFin

Sehr geehrter Herr Präsident Hufeld,

der Zusammenbruch der betrügerischen Wirecard AG im Jahr 2019 hat deutsche Kleinanleger Milliarden mühsam ersparter Euro gekostet und viele von ihnen um die Existenz gebracht. Dabei hätte die BaFin, gemäß Presseberichten, bereits im Jahr 2016 einschreiten und Milliarden vor der Vernichtung retten können. Der Report der Beratungsfirma Zatarra und Berichte der Financial Times hatten über dubiose Firmenkäufe zu überhöhten Preisen und Luftbuchungen mit nicht existierenden Kunden im großen Stil berichtet.

Die BaFin wurde zwar tätig, vermutete jedoch eine gezielte Marktmanipulation durch Aktienleerverkäufer, sog. Shortseller. Zu dieser Einschätzung gelangte die Behörde auch aufgrund eigener Untersuchungen. In einem Papier, welches von der BaFin an das Bundesfinanzministerium übermittelt wurde, werden die Leerverkäufer wie folgt beschrieben: Dass sie „dem Anschein nach einen recht einheitlichen kulturellen Hintergrund haben – überwiegend israelische und britische Staatsangehörige“ seien, und weiter: „Daher ist nicht auszuschließen, dass es sich um eine netzwerkartige Struktur handelt.“ Im Klartext: hier liegt eine Verschwörung vor, und zwar eine jüdische.

Anstatt Wirecard auf Herz und Nieren zu durchleuchten, schob die BaFin Ermittlungen wegen Insiderhandels an und verbot den Leerverkauf von Wirecard-Aktien, obwohl selbst die Bundesbank dagegen war, auf diese Weise in das Marktgeschehen einzugreifen.

Wie ist die Mentalität der BaFin einzuschätzen? Wirecard wurde, so erscheint es, als deutscher Champion geschützt, quasi als die deutsche Antwort auf Silicon Valley. Offensichtlich wollte man sich im Wettstreit mit dem Finanzplatz London ein solches Pfund nicht kaputtmachen lassen.

Der Autor des BaFin-Papiers konnte zu den bisher genannten Verdächtigen auch „angloamerikanische Hedgefonds“ identifizieren. War die Reaktion der BaFin davon geleitet, eigene Versäumnisse zu vertuschen und stattdessen an antijüdische und antiamerikanische Ressentiments zu appellieren? Dies zum Nachteil von Anlegern, die Milliarden von Euro verloren?

Die BaFin erklärt nun: „Kultureller Hintergrund oder Staatsangehörigkeit haben bei Untersuchungen der BaFin keinerlei Relevanz. Die gewählte Formulierung war in der Tat unglücklich und leicht fehlinterpretierbar.“ Gemeint waren „Gemeinsamkeiten, die ein Zusammenwirken der Verdächtigen nahelegten.“

Wir bitten die BaFin nun um Auskunft:

1. Exakt welche Fehlinterpretation, die so „unglücklich und leicht“ in den Sinn käme, meinten Sie?
2. Wer war der Verfasser des Papiers?
3. Hat das Finanzministerium auf das Schreiben der BaFin reagiert? Hat man den Autoren bzgl. der antisemitischen Konnotation seines Schreibens zur Rechenschaft gezogen?

Es handelt sich, unserer Auffassung nach, um ein Beispiel von institutionellem Salonantisemitismus, der den Juden als Feind einer deutschen Firma erkannt haben will. Der Verfasser des Papiers musste sich nicht einmal die Mühe machen „kulturelle Hintergründe“ weiter zu erläutern, da er meinte annehmen zu dürfen, sein Adressat verstünde ihn ohnehin. Dabei schwingt auch das klassische antisemitische Bild mit, Juden als Sündenböcke, vor allem in Finanzkontexten, zu missbrauchen.

Wir fühlen uns im vorliegenden Fall in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückversetzt. Antisemitische Vorurteile des Autors des BaFin-Papiers haben hier den Blick auf die eigentlichen Übeltäter, die ehemaligen Vorstände der Wirecard AG, verstellt.

Wir weisen darauf hin, dass wir dieses Schreiben als offenen Brief veröffentlichen. Ebenfalls werden wir Ihre Antwort hierauf veröffentlichen. Dabei werden die direkten Kontaktdaten der Korrespondenzpartner, sowie handschriftliche Unterschriften unkenntlich gemacht.

Mit freundlichen Grüßen

Elio Adler
– Vorsitzender –

21.01.2021 Antwort des Präsidenten der BaFin

Sehr geehrter Herr Dr. Adler,

vielen Dank für Ihren Brief, in dem Sie Formulierungen in einem Schreiben meiner Behörde vom 11. Mai 2016 völlig zurecht kritisieren. Ich möchte das zum Anlass nehmen, mich zu entschuldigen.

Die von Ihnen zitierten Formulierungen und der Hinweis auf die Staatsbürgerschaft sind inakzeptabel und ohne Zweifel ein grober Fehlgriff. Staatsan­gehörigkeit und Herkunft spielen bei der Bewertung der Rechtmäßigkeit ei­nes Handelns keine Rolle – und dürfen dies auch nicht.

Lassen Sie mich bitte den Hintergrund des Schreibens erläutern: Wir hatten Hinweise von einer anderen europäischen Aufsichtsbehörde erhalten. Sie ließen auf ein mögliches gemeinsames Vorgehen bei Leerverkäufen schlie­ßen, unter anderem weil die beteiligten Personen die gleiche IT-Infrastruk­tur nutzten. Auf der Grundlage dieser und weiterer Erkenntnisse wurden aufsichtsrechtliche Maßnahmen getroffen. Der Hinweis auf die Herkunft der Beteiligten war dabei völlig unangebracht.

Ich habe den Vorgang zum Anlass  genommen, alle Vorgesetzten und Be­schäftigten dazu anzuhalten, dass sich unsere unparteiische und diskrimi­nierungsfreie Amtsführung auch in der Formulierung unserer Vermerke und Schreiben widerspiegeln muss, und diesbezüglich um mehr Sorgfalt und Sensibilität gebeten.

Ich versichere Ihnen, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsauf­sicht Werten wie Toleranz und Weltoffenheit verbunden ist und, keine Dis­kriminierung und keinen Antisemitismus in ihren Reihen duldet. Als Bundes­behörde, die der freiheitlich-demokratischen  Grundordnung  verpflichtet und in zahlreichen internationalen Gremien vertreten ist, muss die BaFin hier über jeden Zweifel erhaben sein. Die oben genannten Äußerungen wurden diesem Anspruch nicht gerecht. Dafür bitte ich auch im Namen meiner Behörde nochmals aufrichtig um Entschuldigung.

Mit freundlichen Grüßen

Hufeld