Gespräch mit Rechtsanwalt Nathan Gelbart zum Umgang der Freien Universität Berlin mit antisemitischer Gewalt

12.02.2024

WerteInitiative: Sehr geehrter Herr Gelbart, die Hochschulleitung der FU sieht nach dem antisemitischen Übergriff eines FU-Studenten auf einen jüdischen Kommilitonen ein dreimonatiges Hausverbot als Maximalmaßnahme vor. Grund soll das Berliner Hochschulgesetz sein, das keine Exmatrikulation zuließe. Sehen Sie das auch so?

Nathan Gelbart: Es mag zutreffen, dass das Berliner Hochschulgesetz (Berliner HG) keine explizite Grundlage mit konkreten Fallbeispielen für verletzte Verhaltensnormen für die Exmatrikulation von Studenten vorsieht.

Das bedeutet aber nicht, dass eine Exmatrikulation generell unzulässig ist; diese Behauptung ist unwahr. Denn Studierende sind z.B. zwingend nach § 15 Berliner HG zu exmatrikulieren, wenn sie

  1. das Studium in keinem Studiengang fortführen dürfen,
  2. Gebühren und Beiträge, einschließlich der Sozialbeiträge zum Studierendenwerk, des Beitrags für die Studierendenschaft und, soweit eine entsprechende Vereinbarung besteht, des Beitrags für ein Semester-Ticket, trotz schriftlicher Mahnung und Androhung der Exmatrikulation nicht gezahlt haben,
  3. die Abschlussprüfung bestanden oder die in dem gewählten Studiengang vorgeschriebenen Leistungsnachweise oder eine vorgeschriebene Prüfung endgültig nicht bestanden haben, sofern sie nicht innerhalb von zwei Monaten die Notwendigkeit der Immatrikulation für die Erreichung eines weiteren Studienziels nachweisen; Entsprechendes gilt für den Fall eines beendeten Promotionsvorhabens.

WerteInitiative: Das heißt es gibt keine rechtliche Handhabe einen Studenten, der einen anderen krankenhausreif prügelt zu exmatrikulieren?

Nathan Gelbart: § 16 Berliner HG sieht lediglich vor, dass bei „Störungen des geordneten Hochschulbetriebes durch Studierende“ Maßnahmen für maximal drei Monate getroffen werden können. Bietet das Gesetz keine explizite Möglichkeit, Studenten verhaltensbedingt zu exmatrikulieren, bedeutet das noch lange nicht, dass Studenten nach allgemeinen Grundsätzen und aus besonders wichtigem Grund, also aus außerordentlichen Exmatrikulationsgründen bei Unzumutbarkeit des Verbleibes eines Gewalttäters an einer Universität nicht dennoch exmatrikuliert werden können. Denn die schwere, vorsätzliche und vollkommen unprovozierte Körperverletzung eines Kommilitonen aus evident antisemitischen Beweggründen geht nachhaltig über eine Störung des geordneten Hochschulbetriebes hinaus. Die Gewalttat zu Lasten von Lahav Shapira verletzt den Grundkonsens eines friedlichen, akademischen Miteinanders von Studenten verschiedener Ethnien, Religionen und Nationalitäten. Also genau die Essenz dessen, worauf unsere universitäre Kultur und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung basiert. Damit wirbt die FU zu Recht.

Die FU ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts, also eine staatliche Einrichtung, welche nach Art. 20 (3) Grundgesetz (GG) Recht und Gesetz verpflichtet ist. Eine staatliche Universität hat mehrere, auch verfassungsrechtliche Grundsätze und Aufträge zu verwirklichen. Zum einen den konkret universitätsbezogenen Bildungsauftrag nach § 4 Berliner HG, sowie ferner nach Art. 14 Charta Grundrechte der EU. Damit hat die FU allen Studenten die Teilnahme an universitärer Ausbildung zu garantieren, und zwar so, dass Leib und Leben von Studenten nicht durch das Verhalten Dritter, insbesondere durch andere Studenten gefährdet sind sowie vor allem nicht deshalb, weil sich Studenten im Rahmen der studentischen Meinungsäußerungsfreiheit politisch betätigen und äußern.

WerteInitiative: Das Berliner Hochschulgesetz reicht an der Stelle also nicht aus, die rechtliche Diskussion müsste Grundrechte, wie etwa das Recht auf körperlicher Unversehrtheit mitberücksichtigen?

Nathan Gelbart: Eine explizite Rechtsgrundlage würde es einer staatlichen Bildungseinrichtung leichter machen, eine Exmatrikulation aufgrund der Begehung schwerwiegender Straftaten durch Studenten zu Lasten von Kommilitonen anzuordnen.  Werden jedoch Leib und Leben von Studenten durch gewalttätige Kommilitonen  massiv gefährdet, so hat die Bildungseinrichtung die geeigneten Maßnahmen zu unternehmen, um die Meinungsfreiheit, aber vor allem Leib und Leben der betroffenen Studenten zu schützen. Die Maßnahmen unterliegen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, müssen also erforderlich, geeignet und angemessen sein. Die Schutzverpflichtung des Staates muss daher eine Exmatrikulation antisemitischer Gewalttäter auch dann ermöglichen, wenn keine explizite Formulierung hierfür in einem Landesgesetz vorgesehen ist. Gebotenes, staatliches Handeln zum Schutz von Leib und Leben von Studenten ist dem Berliner HG übergeordnet.

Auch, wenn das Berliner HG nicht explizit die Verletzung des Körpers anderer Studenten als Sanktionsgrund vorsieht; denn das Recht, sogar die Pflicht zum Handeln ergibt sich aus anderen, für die FU verbindlichen Rechtsnormen.

Die FU ist als staatliche Einrichtung sowohl  aus Art. 2 (2) GG sowie Art. 8 (1) Berliner Landesverfassung dem Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit von Studenten und Beschäftigten sowie Besuchern verpflichtet.

WerteInitiative: Bedarf es aus Ihrer Sicht einer rechtlichen Nachschärfung, oder hat die FU-Leitung, sowie auch andere Hochschulen Handlungsmöglichkeiten Konsequenzen, nach einer solch schrecklichen Tat zu ziehen?

Nathan Gelbart:  Es ist nicht eine Frage des Könnens, sondern des Wollens, hinreichend verdächtige Straftäter, die Leib und Leben von Kommilitonen vorsätzlich, zudem aus evident antisemitischen Beweggründen gefährden, vom Universitätsbetrieb nicht nur vorübergehend (vorläufiges Hausverbot), sondern aufgrund der Unzumutbarkeit des Verbleibens an der Einrichtung dauerhaft vom Universitätsbetrieb auszuschließen (Exmatrikulation). Eine Exmatrikulation dürfte in solchen Fällen verhältnismäßig sein und kann im Übrigen vom Betroffenen durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit überprüft werden lassen.

Für den hoffentlich bald wieder voll genesenen Lahav Shapira ist es schlichtweg unzumutbar, den Kommilitonen, der ihn dermaßen schwer verletzt hat, weiterhin auf dem Campus über den Weg laufen zu müssen.

Würde die Auffassung der FU und des Berliner Senats zutreffen, dürfte der Tatverdächtige nach Ablauf des Hausverbotes erneut  Studenten halb totprügeln, ohne eine Exmatrikulation befürchten zu müssen Würde dann die FU erneut ein Hausverbot aussprechen ? Die FU hätte aus den oben genannten, allgemeinen Exmatrikulationsgründen auch ohne wortwörtliche Erwähnung im Berliner HG den antisemitischen Gewalttäter exmatrikulieren können und müssen.  Sie hat jedoch im Rahmen ihres Ermessens bedauerlicherweise das mildere, übrigens ebenfalls nicht ausdrücklich im Berliner HG vorgesehene Mittel des befristeten Hausverbotes gewählt. An diese Ermessensentscheidung ist die FU nunmehr gebunden. Weitergehende Schritte dürften leider nicht mehr möglich sein.

WerteInitiative: Vielen Dank für das Gespräch.