Offener Brief an Präsidentin der Humboldt-Universität zur Reformierung des Berliner Hochschulgesetzes

Offener Brief an Präsidentin der Humboldt-Universität zur Reformierung des Berliner Hochschulgesetzes

18.03.2024

18.03.2024

Nachfolgendes Schreiben haben wir heute an die Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin, Prof. Dr. Julia von Blumenthal, gesendet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin Prof. von Blumenthal,

die Eskalation antisemitischer Proteste und Störaktionen an deutschen Universitäten schufen ein Klima antisemitischer Gewalt, das nun zu einem gewalttätigen Übergriff eines FU-Studenten auf seinen jüdischen Kommilitonen führte. Die einzig richtige Antwort auf diese Gewalt ist die Umsetzung konkreter Maßnahmen, die die Universitäten wieder zu Orten der Wissenschaft und des Diskurses macht und Gewalt präventiv ausschließt.

Im Zuge dessen soll nun das Berliner Hochschulgesetz reformiert und die Möglichkeit der Exmatrikulation von Gewalttätern geschaffen werden. Wir möchten Ihnen für Ihre klare Haltung und Befürwortung dieser gesetzlichen Reform danken und Sie in ihrer Position bestärken.

Der Referent_innenrat (RefRat) der Humboldt-Universität zu Berlin äußerte Ende Februar Kritik am Reformvorhaben und sprach von der Sorge um politische Repression.

„Durch Exmatrikulation können BAföG und Wohnsituation im Studierendenwohnheim wegbrechen. Für Studierende, deren Aufenthaltsstatus an ihrem Studierendenstatus hängt, kann eine Zwangsexmatrikulation das Wegbrechen jeglicher Existenzgrundlage bis hin zur Abschiebung bedeuten[1], heißt es in der Stellungnahme des RefRats.

Es ist nur schwer nachzuvollziehen, wie ein Gremium, das Beauftragtenstellen für Betroffene von Gewalt an der Universität fordert, sich gleichzeitig für den Schutz von Tätern, statt von Opfern stark macht. Zur Erinnerung: das Ordnungsrecht, das bis 2021 in Berlin auf Basis des Hochschulrahmengesetzes gegolten hat, regelte den Umgang mit Studierenden, die durch die Anwendung von Gewalt, durch Aufforderung zur Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt den Betrieb einer Hochschuleinrichtung, die Tätigkeit eines Hochschulorgans, die Durchführung einer Hochschulveranstaltung oder in sonstiger Weise den Studienbetrieb beeinträchtigen, verhindern oder zu verhindern versuchten.[2]

Dass ein entsprechend gewaltbereites Verhalten nicht geduldet werden darf, sollte selbstverständlich und indiskutabel sein. Opfern dieser Gewalt darf nicht zugemutet werden, unter Umständen mit ihrem Angreifer weiter im Seminar sitzen zu müssen oder am Universitätscampus weiter dieser Bedrohung ausgesetzt zu sein. Die

Wiedereinführung des Ordnungsrechts mit der Ergänzung einer möglichen Exmatrikulation von Gewalttätern ist daher nur folgerichtig.

Während der RefRat behauptet, dies sei keine wirksame Lösung im Umgang mit Antisemitismus, möchten wir betonen, dass mit dieser Maßnahme allen Opfern verbaler und physischer Gewalt – ob queer, PoC, muslimisch, jüdisch oder von mehrfacher Diskriminierung betroffen – Schutz geboten werden kann. Der in diesem Zusammenhang vom RefRat vorgetragene Vorwurf, der Schutz marginalisierter Gruppen würde für rechte Politik vorgeschoben werden, „um autoritäre Maßnahmen durchzudrücken, während ansonsten viel Stimmung gemacht wird und sich wenig um die Anliegen von Betroffenen gekümmert wird“[3], ist daher eine populistische Nebelkerze, von der man sich nicht beirren lassen darf.

Da der RefRat Unsicherheiten bei der Definition von Antisemitismus aufzeigt, möchten wir Sie gerne an die 2019 von der HRK verabschiedete Resolution gegen Antisemitismus an den Universitäten erinnern, die sich zur IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus bekennt.[4] Für die Humboldt-Universität, wie auch für weitere Universitäten und Hochschulen sollte damit klar definiert sein, wo die Grenze der Meinungsfreiheit verläuft und wo Antisemitismus beginnt.

Wir danken Ihnen für Ihre klare Haltung gegen menschenverachtendes Gedankengut an der HU und die Verurteilung von Antisemitismus.

Wir weisen höflich darauf hin, dass wir diesen Brief und Ihre Antwort – wenn Sie es uns nicht anders auferlegen – öffentlich kommunizieren werden. Persönliche Kontaktdaten und Unterschriften würden dabei unkenntlich gemacht.

Für ein Gespräch oder Rückfragen stehe ich gerne zu Ihrer Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Elio Adler
Vorsitzender

 

[1] https://www.refrat.de/article/PMOrdnungrecht.html.

[2] § 28 HRG a.F. (BGBl I 1987, 1178 vom 23.04.1987).

[3] https://www.refrat.de/article/PMOrdnungrecht.html.

[4] https://www.hrk.de/positionen/beschluss/detail/kein-platz-fuer-antisemitismus/.

27.03.2024

Frau Präsidentin von Blumenthal hat heute auf unseren Offenen Brief geantwortet. Ihre Antwort lesen Sie hier.

Antwort auf den offenen Brief von Werteinitiative e.V. jüdisch-deutsche Positionen vom 18.03.2024

 

Sehr geehrter Herr Adler,

hiermit möchte ich auf Ihren offenen Brief antworten. Uns eint die große Sorge angesichts des erstarkenden Antisemitismus in Deutschland. Daher freue ich mich über Ihre positive Würdigung meiner Position. Zugleich möchte ich doch einige Punkte klarstellen.

Sie schreiben korrekterweise, dass ich die Wiedereinführung eines Ordnungsrechts in das Berliner Hochschulgesetz befürworte. Damit wird den Hochschulen die Entsprechung zum Arbeitsrecht und zum Disziplinarrecht auch wieder für die große Gruppe der Studierenden gegeben. Der Vergleich zum Arbeitsrecht für die Angestellten und zum Disziplinarrecht für die Beamten zeigt zugleich, dass die Erwartungen, die aktuell mit dem Ordnungsrecht verbunden sind, meines Erachtens weit über die künftige Wirkung und Relevanz hinausgehen. Die Anwendung des Ordnungsrechts ist strikt an das rechtsstaatliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit gebunden und verlangt von den Hochschulen eine sorgfältige Ermittlung des jeweiligen Sachverhalts. Exmatrikulationen werden daher nur in besonders gravierenden Einzelfällen erfolgen, auch mildere Sanktionen werden nur dann verhängt werden, wenn die Sachlage klar ermittelbar und eine Sanktion überhaupt gerechtfertigt ist.

Vor diesem Hintergrund kann ich auch die Besorgnisse der verfassten Studierendenschaft durchaus nachvollziehen. Es wird für die Hochschulen sehr anspruchsvoll sein, den Ordnungsausschuss so zusammenzusetzen, dass er seine Aufgabe rechtlich korrekt und unter Wahrung der rechtsstaatlichen Standards wahrnehmen kann. Die Tatbestände, auf die Sanktionen gestützt werden können, müssen hinreichend konkret beschrieben sein, um einen Missbrauch des Ordnungsrechts zu vermeiden.

Gleichwohl spreche ich mich für die Wiedereinführung des Ordnungsrechts aus. Auch das Disziplinarrecht für Beamte kommt in Form der schärfsten Sanktion, der Entfernung aus dem Dienst, nur äußerst selten zur Anwendung und wird dann stets gerichtlich überprüft. Ähnlich ist es auch im Arbeitsrecht. Verhaltensbedingte Kündigungen sind ein seltener Ausnahmefall und stehen einer gerichtlichen Überprüfung offen. Gleichwohl ist es notwendig, diese Instrumente für gravierende Extremfälle zur Verfügung zu haben.

Mit gewisser Sorge nehme ich wahr, dass dem Ordnungsrecht eine große Wirkung für die Bekämpfung des Antisemitismus zugeschrieben wird. Ich teile diese Erwartung nicht. Antisemitismus ist ein gesellschaftliches Phänomen. Wie die aktuelle Studie1 „Studentisches Meinungsklima zur Gewalteskalation in Israel und Gaza und Antisemitismus an deutschen Hochschulen“ von Thomas Hinz, Anna Marczuk und Frank Multurs zeigt, ist Antisemitismus an Hochschulen nicht stärker verankert als in der gesamten Gesellschaft. Während der allgemeine Antisemitismus an Hochschulen sogar deutlich geringer verbreitet ist (8% im Vergleich zu 18%), ist der israelbezogene Antisemitismus in ähnlichem Ausmaß wie in der Gesellschaft zu beobachten (jeweils 8 % verfestigt und 12 bzw. 9 % tendenziell, S. 23). Bei der Nennung der Räume, in denen Antisemitismus erfahren wird, stehen die Hochschulen mit 11% weit hinter Internet, Medien und dem politischen Raum (S. 20). Gleichwohl kommt den Hochschulen eine wichtige Aufgabe in der Bekämpfung des Antisemitismus zu, denn die Studie zeigt auch, dass fast 30% der jüdischen Studierenden selbst Diskriminierung erlebt haben (S. 30). Diese geht ganz überwiegend von Mitstudierenden aus. Dieses Ergebnis ist eine Mahnung für uns als Universität und Anlass für sehr konkrete Maßnahmen zur Unterstützung der jüdischen Studierenden und aller Studierenden, die Diskriminierung erfahren.

Universitäten stellen sich umfassend der Aufgabe, Antisemitismus zu bekämpfen. Sie tun dies zunehmend durch die Benennung von Beauftragten gegen Antisemitismus, die die etablierten Strukturen und Verfahren gegen alle Formen von Diskriminierung ergänzen. Universitäten leisten Aufklärungsarbeit für die gesamte Gesellschaft, indem sie Forschung und Lehre zu jüdischer Geschichte, zu jüdischer Kultur und jüdischem Denken bieten. Sie engagieren sich in Forschung und Lehre zur Geschichte des Staates Israel sowie zum Nahostkonflikt. In Forschung und Lehre halten sie die Erinnerung an die Shoah wach und leisten Prävention durch Forschung und Lehre zu Formen des Antisemitismus in Geschichte und Gegenwart. Es ist mir ein persönliches Anliegen, dass die ganze Bandbreite der Aufgabe, Antisemitismus zu bekämpfen, in der öffentlichen Debatte sichtbar bleibt.
Zugleich sind Universitäten Räume der Debatte und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Dabei stehen wir Universitäten immer wieder vor der anspruchsvollen Aufgabe, der Wissenschaftsfreiheit Raum zu bieten, ohne fundamentale Werte in Frage zu stellen. Dabei können Definitionen helfen, sie bleiben aber stets selbst Gegenstand der Kontroverse und der weiteren wissenschaftlichen Erörterung.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Julia von Blumenthal