Statement zur Solidarität mit Betroffenen von antisemitischen Vorfällen
Wir sind nicht bereit, das Prinzip des „Glauben-Schenkens“ umzukehren
Nachtrag am 28.11.2023:
Wir haben uns bereits am 19.10.2021 kritisch mit unserer damaligen vorschnellen Positionierung auseinandergesetzt (s.u.). Der heutige Prozessverlauf hat unterstrichen, dass das nötig war. Wir haben das Marriott Hotel Leipzig ausdrücklich um Entschuldigung gebeten.
Gil Ofarim hat uns alle dreist belogen und damit vor allem all denen, die es mit dem Kampf gegen Judenhass ernst meinen, großen Schaden zugefügt. Er muss nun für sein rücksichtsloses Verhalten die Verantwortung übernehmen. Gleichzeitig möchten wir nochmal ausdrücklich betonen, dass dieser Fall nicht bedeuten darf, dass wir von Antisemitismus Betroffenen nicht glauben und uns entsolidarisieren.
Gerade in dieser Zeit, in der wir einen rapiden Anstieg des Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft erleben, ist die Sensibilisierung für und Solidarität mit Betroffenen wichtiger denn je.
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Die Causa um Gil Ofarim hat uns von Beginn an sehr ergriffen. Ein emotional und glaubhaft geschilderter antisemitischer Vorfall in aller Öffentlichkeit, bei dem niemand eingegriffen zu haben scheint.
Ergriffen vor allem, weil die meisten von uns ähnliche Situationen kennen. Nachdem der Künstler den Vorfall öffentlich gemacht hatte, haben wir so gehandelt, wie es am Naheliegendsten war und für uns auch heute grundsätzlich richtig ist: Wir haben uns mit dem Betroffenen solidarisiert.
Mittlerweile gibt es Anhaltspunkte dafür, dass sich die Geschichte nicht genau so zugetragen hat, wie der Betroffene sie zunächst geschildert hat. Der Fall muss daher nochmals genau analysiert und ggf. neu bewertet werden.
Im Umgang mit solchen Situationen ist für uns ein Prinzip unumgänglich: In einer Gesellschaft, in der ein Bewusstsein für die Alltäglichkeit antisemitischer Vorfälle fehlt, muss die betroffene Person gestärkt werden. Dies schließt ein, der betroffenen Person Glauben zu schenken. Weil sich dies aber im Nachhinein als falsch herausstellen kann, sollten alle – auch wir – mit Urteilen und abgeleiteten Forderungen abwarten.
Das Prinzip des „Glauben-Schenkens“ umzukehren, würde bedeuten, dass jeder Vorfall mit Bild, Ton oder Zeugen belegt werden müsste. Dies würde zu einer immensen Entsolidarisierung führen und den ohnehin schon vorhandenen Rechtfertigungsdruck bei den Betroffenen steigern. Von Antisemitismus Betroffene wären von Beginn an erheblichen Zweifeln ausgesetzt und somit noch gehemmter, über ihre Erfahrungen zu sprechen.
Im Fall Ofarim bedeutet das für uns: Wir warten weitere Erkenntnisse ab und werden unabhängig von ihrem Ausgang alles dafür tun, Kollateralschäden hinsichtlich der Glaubwürdigkeit von Opfern antisemitischer Vorfälle zu verhindern. Und uns selbst – hoffentlich – nicht zu vorschnellen Urteilen hinreißen lassen.
Die Häme und der teils brachiale Antisemitismus, der nun über Herrn Ofarim hineinbricht, verurteilen wir auf das Schärfste.