Ein jüdischer Blick auf den Tag der Deutschen Einheit
Nach der Shoa war es nicht selbstverständlich, dass Juden, die vor dem Nazi-Regime geflohen waren, nach Deutschland zurückkehrten. Ihre Beweggründe waren unterschiedlich, auch insbesondere vor der Fragestellung, ob sie nach Ost- oder Westdeutschland zurückkehrten. Nicht unbedeutend war für Juden, die sich für ein Leben in der „Sowjetische Besatzungszone“ (SBZ) entschieden hatten, Teil des neuen „antifaschistischen Staates“ zu werden. Nach Kriegsende wurden in der SBZ-Antisemitismus und andere Diskriminierungsformen mit dem westlichen „kapitalistischen Profit- und Welteroberungsbestreben“ verbunden. Im Selbstverständnis der DDR lagen die Wurzeln des neuen, sozialistischen Staates im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Damit würde eine Nachfolge der deutschen Tätergesellschaft ausgeschlossen sein. Die Aufarbeitung der NS-Zeit wurde beim Aufbau des „antifaschistischen Staats“ auf eine Form der Repräsentation des Widerstands degradiert. Juden wurden zudem als Hauptopfergruppe der Nationalsozialisten infrage gestellt. Eine Aufarbeitung der eigenen Täterschaft fand nur oberflächlich oder gar nicht statt. Gleichwohl ging von der DDR-Führung ein grassierender Antisemitismus aus. Unter anderem zeigte sich das auch durch die enge Kooperation zwischen der DDR und damals ausschließlich auf die Vernichtung Israels ausgerichteter, palästinensischer Terrorgruppen.
Die Vision der zurückgekehrten Juden, einen antifaschistischen Staat mit aufzubauen, stellte sich für Viele als große Enttäuschung, wenn nicht gar gefährlich heraus. Der Mangel an Aufarbeitung der NS-Geschichte in Verbindung mit (linken) antisemitischen Verschwörungsmythen, ist bis heute spürbar.
Der Weg zur Deutschen Einheit war für viele Juden ein hoffnungsvolles Kapitel. Mit der Wiedervereinigung öffneten sich insbesondere für Juden aus der ehemaligen DDR neue Möglichkeiten, sich mit der Welt zu verbinden und die jüdische Identität zu leben.
Im wiedervereinigten Deutschland gilt der Konsens, eine diskriminierungsfreie und hassfreie Gesellschaft zu leben, zu schützen und zu wahren. Es ist daher ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, sich auch für die Sicherung jüdischen Lebens in Deutschland stark zu machen.