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Offener Brief an Präsidentin der Humboldt-Universität zur Reformierung des Berliner Hochschulgesetzes

18.03.2024

Nachfolgendes Schreiben haben wir heute an die Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin, Prof. Dr. Julia von Blumenthal, gesendet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin Prof. von Blumenthal,

die Eskalation antisemitischer Proteste und Störaktionen an deutschen Universitäten schufen ein Klima antisemitischer Gewalt, das nun zu einem gewalttätigen Übergriff eines FU-Studenten auf seinen jüdischen Kommilitonen führte. Die einzig richtige Antwort auf diese Gewalt ist die Umsetzung konkreter Maßnahmen, die die Universitäten wieder zu Orten der Wissenschaft und des Diskurses macht und Gewalt präventiv ausschließt.

Im Zuge dessen soll nun das Berliner Hochschulgesetz reformiert und die Möglichkeit der Exmatrikulation von Gewalttätern geschaffen werden. Wir möchten Ihnen für Ihre klare Haltung und Befürwortung dieser gesetzlichen Reform danken und Sie in ihrer Position bestärken.

Der Referent_innenrat (RefRat) der Humboldt-Universität zu Berlin äußerte Ende Februar Kritik am Reformvorhaben und sprach von der Sorge um politische Repression.

„Durch Exmatrikulation können BAföG und Wohnsituation im Studierendenwohnheim wegbrechen. Für Studierende, deren Aufenthaltsstatus an ihrem Studierendenstatus hängt, kann eine Zwangsexmatrikulation das Wegbrechen jeglicher Existenzgrundlage bis hin zur Abschiebung bedeuten[1], heißt es in der Stellungnahme des RefRats.

Es ist nur schwer nachzuvollziehen, wie ein Gremium, das Beauftragtenstellen für Betroffene von Gewalt an der Universität fordert, sich gleichzeitig für den Schutz von Tätern, statt von Opfern stark macht. Zur Erinnerung: das Ordnungsrecht, das bis 2021 in Berlin auf Basis des Hochschulrahmengesetzes gegolten hat, regelte den Umgang mit Studierenden, die durch die Anwendung von Gewalt, durch Aufforderung zur Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt den Betrieb einer Hochschuleinrichtung, die Tätigkeit eines Hochschulorgans, die Durchführung einer Hochschulveranstaltung oder in sonstiger Weise den Studienbetrieb beeinträchtigen, verhindern oder zu verhindern versuchten.[2]

Dass ein entsprechend gewaltbereites Verhalten nicht geduldet werden darf, sollte selbstverständlich und indiskutabel sein. Opfern dieser Gewalt darf nicht zugemutet werden, unter Umständen mit ihrem Angreifer weiter im Seminar sitzen zu müssen oder am Universitätscampus weiter dieser Bedrohung ausgesetzt zu sein. Die

Wiedereinführung des Ordnungsrechts mit der Ergänzung einer möglichen Exmatrikulation von Gewalttätern ist daher nur folgerichtig.

Während der RefRat behauptet, dies sei keine wirksame Lösung im Umgang mit Antisemitismus, möchten wir betonen, dass mit dieser Maßnahme allen Opfern verbaler und physischer Gewalt – ob queer, PoC, muslimisch, jüdisch oder von mehrfacher Diskriminierung betroffen – Schutz geboten werden kann. Der in diesem Zusammenhang vom RefRat vorgetragene Vorwurf, der Schutz marginalisierter Gruppen würde für rechte Politik vorgeschoben werden, „um autoritäre Maßnahmen durchzudrücken, während ansonsten viel Stimmung gemacht wird und sich wenig um die Anliegen von Betroffenen gekümmert wird“[3], ist daher eine populistische Nebelkerze, von der man sich nicht beirren lassen darf.

Da der RefRat Unsicherheiten bei der Definition von Antisemitismus aufzeigt, möchten wir Sie gerne an die 2019 von der HRK verabschiedete Resolution gegen Antisemitismus an den Universitäten erinnern, die sich zur IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus bekennt.[4] Für die Humboldt-Universität, wie auch für weitere Universitäten und Hochschulen sollte damit klar definiert sein, wo die Grenze der Meinungsfreiheit verläuft und wo Antisemitismus beginnt.

Wir danken Ihnen für Ihre klare Haltung gegen menschenverachtendes Gedankengut an der HU und die Verurteilung von Antisemitismus.

Wir weisen höflich darauf hin, dass wir diesen Brief und Ihre Antwort – wenn Sie es uns nicht anders auferlegen – öffentlich kommunizieren werden. Persönliche Kontaktdaten und Unterschriften würden dabei unkenntlich gemacht.

Für ein Gespräch oder Rückfragen stehe ich gerne zu Ihrer Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Elio Adler
Vorsitzender

 

[1] https://www.refrat.de/article/PMOrdnungrecht.html.

[2] § 28 HRG a.F. (BGBl I 1987, 1178 vom 23.04.1987).

[3] https://www.refrat.de/article/PMOrdnungrecht.html.

[4] https://www.hrk.de/positionen/beschluss/detail/kein-platz-fuer-antisemitismus/.

27.03.2024

Frau Präsidentin von Blumenthal hat heute auf unseren Offenen Brief geantwortet. Ihre Antwort lesen Sie hier.

Antwort auf den offenen Brief von Werteinitiative e.V. jüdisch-deutsche Positionen vom 18.03.2024

 

Sehr geehrter Herr Adler,

hiermit möchte ich auf Ihren offenen Brief antworten. Uns eint die große Sorge angesichts des erstarkenden Antisemitismus in Deutschland. Daher freue ich mich über Ihre positive Würdigung meiner Position. Zugleich möchte ich doch einige Punkte klarstellen.

Sie schreiben korrekterweise, dass ich die Wiedereinführung eines Ordnungsrechts in das Berliner Hochschulgesetz befürworte. Damit wird den Hochschulen die Entsprechung zum Arbeitsrecht und zum Disziplinarrecht auch wieder für die große Gruppe der Studierenden gegeben. Der Vergleich zum Arbeitsrecht für die Angestellten und zum Disziplinarrecht für die Beamten zeigt zugleich, dass die Erwartungen, die aktuell mit dem Ordnungsrecht verbunden sind, meines Erachtens weit über die künftige Wirkung und Relevanz hinausgehen. Die Anwendung des Ordnungsrechts ist strikt an das rechtsstaatliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit gebunden und verlangt von den Hochschulen eine sorgfältige Ermittlung des jeweiligen Sachverhalts. Exmatrikulationen werden daher nur in besonders gravierenden Einzelfällen erfolgen, auch mildere Sanktionen werden nur dann verhängt werden, wenn die Sachlage klar ermittelbar und eine Sanktion überhaupt gerechtfertigt ist.

Vor diesem Hintergrund kann ich auch die Besorgnisse der verfassten Studierendenschaft durchaus nachvollziehen. Es wird für die Hochschulen sehr anspruchsvoll sein, den Ordnungsausschuss so zusammenzusetzen, dass er seine Aufgabe rechtlich korrekt und unter Wahrung der rechtsstaatlichen Standards wahrnehmen kann. Die Tatbestände, auf die Sanktionen gestützt werden können, müssen hinreichend konkret beschrieben sein, um einen Missbrauch des Ordnungsrechts zu vermeiden.

Gleichwohl spreche ich mich für die Wiedereinführung des Ordnungsrechts aus. Auch das Disziplinarrecht für Beamte kommt in Form der schärfsten Sanktion, der Entfernung aus dem Dienst, nur äußerst selten zur Anwendung und wird dann stets gerichtlich überprüft. Ähnlich ist es auch im Arbeitsrecht. Verhaltensbedingte Kündigungen sind ein seltener Ausnahmefall und stehen einer gerichtlichen Überprüfung offen. Gleichwohl ist es notwendig, diese Instrumente für gravierende Extremfälle zur Verfügung zu haben.

Mit gewisser Sorge nehme ich wahr, dass dem Ordnungsrecht eine große Wirkung für die Bekämpfung des Antisemitismus zugeschrieben wird. Ich teile diese Erwartung nicht. Antisemitismus ist ein gesellschaftliches Phänomen. Wie die aktuelle Studie1 „Studentisches Meinungsklima zur Gewalteskalation in Israel und Gaza und Antisemitismus an deutschen Hochschulen“ von Thomas Hinz, Anna Marczuk und Frank Multurs zeigt, ist Antisemitismus an Hochschulen nicht stärker verankert als in der gesamten Gesellschaft. Während der allgemeine Antisemitismus an Hochschulen sogar deutlich geringer verbreitet ist (8% im Vergleich zu 18%), ist der israelbezogene Antisemitismus in ähnlichem Ausmaß wie in der Gesellschaft zu beobachten (jeweils 8 % verfestigt und 12 bzw. 9 % tendenziell, S. 23). Bei der Nennung der Räume, in denen Antisemitismus erfahren wird, stehen die Hochschulen mit 11% weit hinter Internet, Medien und dem politischen Raum (S. 20). Gleichwohl kommt den Hochschulen eine wichtige Aufgabe in der Bekämpfung des Antisemitismus zu, denn die Studie zeigt auch, dass fast 30% der jüdischen Studierenden selbst Diskriminierung erlebt haben (S. 30). Diese geht ganz überwiegend von Mitstudierenden aus. Dieses Ergebnis ist eine Mahnung für uns als Universität und Anlass für sehr konkrete Maßnahmen zur Unterstützung der jüdischen Studierenden und aller Studierenden, die Diskriminierung erfahren.

Universitäten stellen sich umfassend der Aufgabe, Antisemitismus zu bekämpfen. Sie tun dies zunehmend durch die Benennung von Beauftragten gegen Antisemitismus, die die etablierten Strukturen und Verfahren gegen alle Formen von Diskriminierung ergänzen. Universitäten leisten Aufklärungsarbeit für die gesamte Gesellschaft, indem sie Forschung und Lehre zu jüdischer Geschichte, zu jüdischer Kultur und jüdischem Denken bieten. Sie engagieren sich in Forschung und Lehre zur Geschichte des Staates Israel sowie zum Nahostkonflikt. In Forschung und Lehre halten sie die Erinnerung an die Shoah wach und leisten Prävention durch Forschung und Lehre zu Formen des Antisemitismus in Geschichte und Gegenwart. Es ist mir ein persönliches Anliegen, dass die ganze Bandbreite der Aufgabe, Antisemitismus zu bekämpfen, in der öffentlichen Debatte sichtbar bleibt.
Zugleich sind Universitäten Räume der Debatte und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Dabei stehen wir Universitäten immer wieder vor der anspruchsvollen Aufgabe, der Wissenschaftsfreiheit Raum zu bieten, ohne fundamentale Werte in Frage zu stellen. Dabei können Definitionen helfen, sie bleiben aber stets selbst Gegenstand der Kontroverse und der weiteren wissenschaftlichen Erörterung.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Julia von Blumenthal

360° Aktivitäten Veranstaltungen

Diskussionsreihe 360°: “Sexualisierte Gewalt der Hamas am 7. Oktober”

Die WerteInitiative e.V. setzt ihre Reihe „360° – Sicherung jüdischen Lebens der freiheitlichen Demokratie in Deutschland” fort.

Anlässlich des Weltfrauentags am 8. März boten die WerteInitiative e.V., die Axel Springer Freedom Foundation, Frauen für Freiheit e. V. und das American Jewish Committee – Berlin israelischen Frauen eine Plattform in der Bundeshauptstadt, um ihre Stimmen auch hier hörbar machen.

Viele für Feminismus und Gleichberechtigung engagierte Personen und Organisationen schwiegen bedauerlicherweise zum Massaker der radikal-islamischen Hamas am 7. Oktober, trotz der systematischen sexualisierten Gewalt der Terroristen. Und dies, obwohl insbesondere Frauenorganisationen für geschlechtsspezifische Gewalt als Kriegswaffe sensibilisiert sind. Das Schweigen vieler (internationaler) Frauenorganisationen, allen voran der UN Women, die nach dem Hamas-Massaker über 50 Tage brauchte, um sich zu einem halbherzigen Statement durchzuringen, vermittelte den Eindruck der Entsolidarisierung gegenüber jüdischen Frauen, Israel und der jüdischen Gemeinschaft, die Opfer des größten Pogroms seit der Shoah wurden. Im Extrem der antisemitischen und frauenverachtenden Entsolidarisierung haben Organisationen, die sich selbst als progressiv verstehen, die Verbrechen der Hamas sogar als Widerstand gefeiert, geleugnet und den Überlebenden nicht geglaubt – schlicht und einfach, weil sie Jüdinnen und Juden sind.

Für Betroffene ist, neben rechtlichen Schritten zur Ahndung der frauenverachtenden Dimension der Kriegsführung, auch Frauensolidarität in unterschiedlichen Formen und Foren eine wichtige Antwort auf die schrecklichen misogynen Verbrechen. Betroffene sexualisierter Gewalt müssen die Möglichkeit bekommen, Gehör für ihre Erfahrungen zu finden und in ihrer Würde bestätigt zu werden.

Zu Beginn unserer Veranstaltung sprachen wir daher mit Chen Malka, einer Überlebenden des Nova-Festivals. Im Anschluss fand zur Einordnung der Folgen der sexualisierten Gewalt durch die Terroristen und zu deren politischen Auswirkungen ein Gespräch mit folgenden Gästen statt:

  • Rebecca Schönenbach (Frauen für Freiheit e. V.)
  • Miki Roitman (Juristin, Frauenrechtsaktivistin in Israel)
  • Yael Sherer (israelische Aktivistin, Expertin für Gesundheitswesen mit Schwerpunkt sexueller Gewalt)
  • Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan (Experte für transkulturelle Psychosomatik)

Moderation: Rixa Fürsen (Redakteurin, WELT-TV)

Aktivitäten

Zum Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine

Am 24. Februar 2022 begann der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Bereits zwei Jahre hält der Kriegszustand in der Ukraine an. Zwei Jahre, in denen die ukrainische Zivilbevölkerung schweres Leid erfahren musste, und in denen schreckliche Kriegsverbrechen begangen wurden. Ein Ende der andauernden Aggression ist bis heute nicht in Sicht. Wir stehen weiterhin klar an der Seite der Ukraine und ihrer Verteidigung des Rechts ihrer StaatsbürgerInnen auf ein Leben in Frieden und Freiheit. Auch viele Jüdinnen und Juden in Deutschland sind von der Situation betroffen und fürchten eine weitere Eskalation. 45% Prozent der Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft hierzulande haben ihre Wurzeln in der Ukraine. Russlands Angriff war und ist darüber hinaus mehr als die völkerrechtswidrige Invasion eines friedlichen Nachbarstaates. Er ist zugleich ein direkter Angriff auf die internationale Ordnung und unsere  Werte des Zusammenlebens, auf die Demokratie, Freiheit und Selbstbestimmung. Aus diesem Grund ist es wichtig und richtig, dass der Deutsche Bundestag in der vergangenen Woche der Ukraine weitere Hilfe zugesagt hat.

Aktivitäten

Gespräch mit Rechtsanwalt Nathan Gelbart zum Umgang der Freien Universität Berlin mit antisemitischer Gewalt

WerteInitiative: Sehr geehrter Herr Gelbart, die Hochschulleitung der FU sieht nach dem antisemitischen Übergriff eines FU-Studenten auf einen jüdischen Kommilitonen ein dreimonatiges Hausverbot als Maximalmaßnahme vor. Grund soll das Berliner Hochschulgesetz sein, das keine Exmatrikulation zuließe. Sehen Sie das auch so?

Nathan Gelbart: Es mag zutreffen, dass das Berliner Hochschulgesetz (Berliner HG) keine explizite Grundlage mit konkreten Fallbeispielen für verletzte Verhaltensnormen für die Exmatrikulation von Studenten vorsieht.

Das bedeutet aber nicht, dass eine Exmatrikulation generell unzulässig ist; diese Behauptung ist unwahr. Denn Studierende sind z.B. zwingend nach § 15 Berliner HG zu exmatrikulieren, wenn sie

  1. das Studium in keinem Studiengang fortführen dürfen,
  2. Gebühren und Beiträge, einschließlich der Sozialbeiträge zum Studierendenwerk, des Beitrags für die Studierendenschaft und, soweit eine entsprechende Vereinbarung besteht, des Beitrags für ein Semester-Ticket, trotz schriftlicher Mahnung und Androhung der Exmatrikulation nicht gezahlt haben,
  3. die Abschlussprüfung bestanden oder die in dem gewählten Studiengang vorgeschriebenen Leistungsnachweise oder eine vorgeschriebene Prüfung endgültig nicht bestanden haben, sofern sie nicht innerhalb von zwei Monaten die Notwendigkeit der Immatrikulation für die Erreichung eines weiteren Studienziels nachweisen; Entsprechendes gilt für den Fall eines beendeten Promotionsvorhabens.

WerteInitiative: Das heißt es gibt keine rechtliche Handhabe einen Studenten, der einen anderen krankenhausreif prügelt zu exmatrikulieren?

Nathan Gelbart: § 16 Berliner HG sieht lediglich vor, dass bei „Störungen des geordneten Hochschulbetriebes durch Studierende“ Maßnahmen für maximal drei Monate getroffen werden können. Bietet das Gesetz keine explizite Möglichkeit, Studenten verhaltensbedingt zu exmatrikulieren, bedeutet das noch lange nicht, dass Studenten nach allgemeinen Grundsätzen und aus besonders wichtigem Grund, also aus außerordentlichen Exmatrikulationsgründen bei Unzumutbarkeit des Verbleibes eines Gewalttäters an einer Universität nicht dennoch exmatrikuliert werden können. Denn die schwere, vorsätzliche und vollkommen unprovozierte Körperverletzung eines Kommilitonen aus evident antisemitischen Beweggründen geht nachhaltig über eine Störung des geordneten Hochschulbetriebes hinaus. Die Gewalttat zu Lasten von Lahav Shapira verletzt den Grundkonsens eines friedlichen, akademischen Miteinanders von Studenten verschiedener Ethnien, Religionen und Nationalitäten. Also genau die Essenz dessen, worauf unsere universitäre Kultur und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung basiert. Damit wirbt die FU zu Recht.

Die FU ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts, also eine staatliche Einrichtung, welche nach Art. 20 (3) Grundgesetz (GG) Recht und Gesetz verpflichtet ist. Eine staatliche Universität hat mehrere, auch verfassungsrechtliche Grundsätze und Aufträge zu verwirklichen. Zum einen den konkret universitätsbezogenen Bildungsauftrag nach § 4 Berliner HG, sowie ferner nach Art. 14 Charta Grundrechte der EU. Damit hat die FU allen Studenten die Teilnahme an universitärer Ausbildung zu garantieren, und zwar so, dass Leib und Leben von Studenten nicht durch das Verhalten Dritter, insbesondere durch andere Studenten gefährdet sind sowie vor allem nicht deshalb, weil sich Studenten im Rahmen der studentischen Meinungsäußerungsfreiheit politisch betätigen und äußern.

WerteInitiative: Das Berliner Hochschulgesetz reicht an der Stelle also nicht aus, die rechtliche Diskussion müsste Grundrechte, wie etwa das Recht auf körperlicher Unversehrtheit mitberücksichtigen?

Nathan Gelbart: Eine explizite Rechtsgrundlage würde es einer staatlichen Bildungseinrichtung leichter machen, eine Exmatrikulation aufgrund der Begehung schwerwiegender Straftaten durch Studenten zu Lasten von Kommilitonen anzuordnen.  Werden jedoch Leib und Leben von Studenten durch gewalttätige Kommilitonen  massiv gefährdet, so hat die Bildungseinrichtung die geeigneten Maßnahmen zu unternehmen, um die Meinungsfreiheit, aber vor allem Leib und Leben der betroffenen Studenten zu schützen. Die Maßnahmen unterliegen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, müssen also erforderlich, geeignet und angemessen sein. Die Schutzverpflichtung des Staates muss daher eine Exmatrikulation antisemitischer Gewalttäter auch dann ermöglichen, wenn keine explizite Formulierung hierfür in einem Landesgesetz vorgesehen ist. Gebotenes, staatliches Handeln zum Schutz von Leib und Leben von Studenten ist dem Berliner HG übergeordnet.

Auch, wenn das Berliner HG nicht explizit die Verletzung des Körpers anderer Studenten als Sanktionsgrund vorsieht; denn das Recht, sogar die Pflicht zum Handeln ergibt sich aus anderen, für die FU verbindlichen Rechtsnormen.

Die FU ist als staatliche Einrichtung sowohl  aus Art. 2 (2) GG sowie Art. 8 (1) Berliner Landesverfassung dem Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit von Studenten und Beschäftigten sowie Besuchern verpflichtet.

WerteInitiative: Bedarf es aus Ihrer Sicht einer rechtlichen Nachschärfung, oder hat die FU-Leitung, sowie auch andere Hochschulen Handlungsmöglichkeiten Konsequenzen, nach einer solch schrecklichen Tat zu ziehen?

Nathan Gelbart:  Es ist nicht eine Frage des Könnens, sondern des Wollens, hinreichend verdächtige Straftäter, die Leib und Leben von Kommilitonen vorsätzlich, zudem aus evident antisemitischen Beweggründen gefährden, vom Universitätsbetrieb nicht nur vorübergehend (vorläufiges Hausverbot), sondern aufgrund der Unzumutbarkeit des Verbleibens an der Einrichtung dauerhaft vom Universitätsbetrieb auszuschließen (Exmatrikulation). Eine Exmatrikulation dürfte in solchen Fällen verhältnismäßig sein und kann im Übrigen vom Betroffenen durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit überprüft werden lassen.

Für den hoffentlich bald wieder voll genesenen Lahav Shapira ist es schlichtweg unzumutbar, den Kommilitonen, der ihn dermaßen schwer verletzt hat, weiterhin auf dem Campus über den Weg laufen zu müssen.

Würde die Auffassung der FU und des Berliner Senats zutreffen, dürfte der Tatverdächtige nach Ablauf des Hausverbotes erneut  Studenten halb totprügeln, ohne eine Exmatrikulation befürchten zu müssen Würde dann die FU erneut ein Hausverbot aussprechen ? Die FU hätte aus den oben genannten, allgemeinen Exmatrikulationsgründen auch ohne wortwörtliche Erwähnung im Berliner HG den antisemitischen Gewalttäter exmatrikulieren können und müssen.  Sie hat jedoch im Rahmen ihres Ermessens bedauerlicherweise das mildere, übrigens ebenfalls nicht ausdrücklich im Berliner HG vorgesehene Mittel des befristeten Hausverbotes gewählt. An diese Ermessensentscheidung ist die FU nunmehr gebunden. Weitergehende Schritte dürften leider nicht mehr möglich sein.

WerteInitiative: Vielen Dank für das Gespräch.

Aktivitäten Meinungen

Berliner Hochschulgesetz: Antisemitische Gewalt erfordert Konsequenzen

Ein jüdischer Student der Freien Universität Berlin wird von einem israelfeindlichen Kommilitonen vor einer Bar krankenhausreif geprügelt, weil er Jude ist. Bereits Wochen und Monate zuvor wurde der jüdische Student in den israelfeindlichen Kreisen der Universität diffamiert und zur Zielscheibe von Judenhass gemacht.

Nun verdeutlichen mehrere Brüche im Gesicht die Schwere der körperlichen Gewalt, die vom Täter ausging.
Der Präsident der FU Berlin Günter Ziegler, der bis dato eher durch weniger offensives Handeln aufgefallen ist, lässt nun mögliche Konsequenzen für den gewalttätigen Studenten prüfen.

Die Berliner Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra, die in ihrem Statement zunächst erklärte, dass sie grundsätzlich gegen Exmatrikulationen aus „politischen Gründen“ sei, forderten wir zu einer Klarstellung ihrer Position zu dem antisemitischen Gewaltvorfall auf. In ihrer jüngsten Stellungnahme weist die Wissenschaftssenatorin nun darauf hin, dass eine Exmatrikulation rechtlich nicht möglich sei und ein Hausverbot für den gewalttätigen Studenten verhängt werden solle.
Die vergangene Berliner Regierung reformierte das Hochschulgesetz dahingehend, dass eine Exmatrikulation in solchen Fällen formal nicht möglich ist. Es liegt jedoch in der Verantwortung der aktuellen Regierung und insbesondere der Wissenschaftssenatorin, hier notwendigerweise die rechtlichen Lücken zu schließen.

Allein ein Hausverbot für ein paar Monate auszusprechen, löst das Problem nicht. Denn nachdem die Frist des Hausverbots ausgelaufen ist, wären weitere jüdische Studierende diesem gewalttätigen Studenten ausgesetzt.

Es braucht reale und konkrete Konsequenzen für antisemitische Gewalttäter und Maßnahmen zum Schutz jüdischer Studierender an den Universitäten und Hochschulen.

Ein erster Schritt wäre es, dem Täter bis zur Klärung der Tat Hausverbot zu erteilen und nach Klärung ggf. zu exmatrikulieren. Als zweiter Schritt muss klar sein, dass solche Taten nicht aus dem Nichts in einem luftleeren Raum erfolgen, sondern in einer Atmosphäre entstehen. An der FU Berlin und auch anderorts.

Aktivitäten WI-Talk Audio

Podcast: Gegen staatlich geförderten Judenhass im Kulturbereich.

Nicht erst seit der Documenta15 ist bekannt, dass es massive Probleme mit Antisemitismus im Kunst- und Kulturbetrieb gibt. Vielerorts scheint es sogar ein strukturelles Problem zu sein. Dagegen muss etwas getan werden, das sieht auch der Berliner Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt Joe Chialo so. Daher führte er im Dezember 2023 eine Antidiskiminierungsklausel für die Berliner Kulturförderung ein. Diese Initiative traf auf viel Zuspruch, insbesondere in der jüdischen Gemeinschaft.

Aufgrund juristischer Bedenken wurde sie jedoch zunächst ausgesetzt.

In diesem WI-Talk erfahren wir aus erster Hand, wie es um die Antidiskriminierungsklausel steht.

Moderation: Anna Staroselski, Sprecherin WerteInitiative e. V.

Aktivitäten

Videoaktion zum Internationalen Holocaust Gedenktag am 27. Januar 2024

Am 27. Januar jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau zum 79. Mal. Seit 19 Jahren begehen wir dieses Datum als Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Auch 2024 setzen wir ein Zeichen gegen das Vergessen.

Und damit werden wir niemals aufhören!

Gedenken an die Opfer der Verbrechen des Nationalsozialismus heißt, die Erinnerung an unzählige persönliche Schicksale zu bewahren. Es bedeutet für die jüdische Gemeinschaft, der Wut, dem Schmerz und der Trauer Sichtbarkeit zu verleihen und uns gegenseitig Trost zu spenden.

Zugleich ist das Gedenken eine Mahnung, ein dringender Auftrag an die ganze Gesellschaft, nichts Ähnliches jemals wieder geschehen zu lassen. Die Bedrohung jüdischen Lebens wurde 1945 nicht einfach aus der Welt geschafft, sondern besteht seitdem in der menschenfeindlichen Ideologie des Antisemitismus in allen seinen Formen fort. Wir erleben jetzt und heute, besonders in den vergangenen Monaten, einen dramatischen Anstieg der Angriffe auf Jüdinnen und Juden, unsere Sicherheit ist hier und weltweit in zunehmender Gefahr. Wir müssen zur Tat schreiten. Nicht nur am Tag des Gedenkens, sondern jeden Tag.

Wir dürfen niemals aufhören!

Das Gedenken an die Shoah darf kein abstraktes Ritual sein. Es ist ein täglicher Appell an die gesamte Gesellschaft. Mit unserer Videoaktion an mehreren zentralen Orten in Berlin wollten wir dies am Internationalen Holocaust Gedenktag allen vor Augen führen.

Nie wieder ist jetzt!

Aktivitäten

Treffen mit Uber Deutschland

Sind jüdische Reisende bei Uber & Co. sicher?

Letzte Woche sprachen wir mit dem Kommunikationschef von Uber, Tobias Fröhlich, und Senior Associate im Bereich Public Policy, Martin Kumstel, über Sicherheitsfragen, die jüdische Fahrgäste derzeit sehr beschäftigen.

Viele Jüdinnen und Juden haben aufgrund eines zunehmenden Antisemitismus ein steigendes Unsicherheitsgefühls bei der Nutzung der verschiedenen Fahrdienstanbieter. In deren Apps geben sie daher falsche Namen an, lassen sich häufig einen Block von ihrer Privatadresse entfernt abholen und steigen viele Meter vor Ihrer Zieladresse aus.

Grund genug uns mit den Verantwortlichen zu treffen – zunächst von Uber, aber in der Folge auch mit den anderen Unternehmen, die ähnliche Services anbieten.

Im Gespräch mit Uber haben uns die zahlreichen Sicherheitsvorkehrungen, die Uber zum Schutz seiner Gäste aber auch Fahrerinnen und Fahrer vornimmt, beruhigt und wir haben über mögliche weitere Maßnahmen des Unternehmens gesprochen. Ein wesentlicher Punkt für uns ist, dass Fahrerinnen und Fahrer, als auch Fahrgäste, keine politischen Äußerungen auf von Uber vermittelten Fahrten tätigen.

Darüber werden wir auch mit weiteren Transportdienstleistern sprechen, um ein sicheres und diskriminierungsfreies Fahren für Jüdinnen und Juden zum Thema zu machen.

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Pressemitteilung: Anlässlich des Holocaust-Gedenktags appelliert jüdischer Verein WerteInitiative e.V. an den Deutschen Bundestag

26.01.2024 Pressemitteilung

Anlässlich des Holocaust-Gedenktags appelliert jüdischer Verein WerteInitiative e.V. an den Deutschen Bundestag:

Der Gedenktag an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau soll nicht nur zum Erinnern, sondern auch zum Handeln im Heute auffordern. Nie Wieder ist jetzt!

Berlin, 26.01.2024 – Der internationale Holocaust-Gedenktag ist ein Tag, an dem man die Erinnerung und das Gedenken an die im Holocaust ermordeten Menschen pflegt. Erinnern darf jedoch kein Selbstzweck sein, sondern muss in Handlungen im Hier und Heute münden. Dass die Politik weiß, was es akut im Kampf gegen Antisemitismus zu tun gibt, haben die Fraktionen der Ampelparteien und der CDU/CSU im Deutschen Bundestag bewiesen: Im Vorfeld des Gedenktags für die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 brachten die Fraktionen vielversprechende, konkrete Maßnahmenkataloge zur Bekämpfung von Judenhass in den Deutschen Bundestag ein. Wir begrüßen ausdrücklich, dass darin Antisemitismus endlich angemessen als Querschnittsthema erkannt wurde und bereichsübergreifend bekämpft werden soll – vom Bildungsbereich über das Strafrecht, die IHRA-Antisemitismusdefinition, BDS, den Kunst- und Kulturbetrieb, das Aufenthalts-/Staatsbürgerschaftsrecht bis hin zur Förderpolitik, sowohl im Inland als auch im Ausland. (Hier gelangen Sie zu beiden Anträgen: Ampelparteien und CDU/CSU.)

Die Anträge wurden nicht beschlossen, sondern werden in diesen Tagen weiter beraten. Wir hoffen, dass sie in diesen Beratungen an Detailschärfe und Wirkungskraft dazugewinnen, in einen geeinten Antrag der vier Fraktionen münden und dabei keine inhaltlichen Einbußen erfahren.

Unser Vorstand erklärt:

„Es reicht nicht aus, das Versprechen von ‚Nie Wieder‘ jährlich am internationalen Holocaust-Gedenktag zu erneuern. Dieser Tage entscheidet sich, ob Politik und Gesellschaft die Sicherung jüdischen Lebens in Deutschland garantieren können, oder ob die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie scheitern wird.“

Mit einer Kunstaktion in Form einer Videoprojektion in City-West und City-Ost werden wir am Samstag, den 27. Januar 2024 auf die Kontinuitäten des Antisemitismus in Deutschland seit der Shoa aufmerksam machen.

Ansprechpartner für Rückfragen: Anna Staroselski / Sprecherin des Vereins kontakt@werteinitiative.de  / Tel: 030 / 234 580 20


Über den Verein WerteInitiative – jüdisch-deutsche Positionen e.V.: die WerteInitiative hat sich als eine zivilgesellschaftliche jüdische Stimme in Deutschland seit 2014 etabliert. Wir sind angetreten, um die Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland zu sichern. Daher setzen wir uns für die Stärkung der Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aus jüdischer Perspektive ein. Dies tun wir, indem wir den wertebasierten politischen, gesellschaftlichen und medialen Diskurs, das bürgerschaftlich-jüdische Engagement in Deutschland und das deutsch-israelische Verhältnis fördern. Für weitere Informationen bitten wir, unsere Webseite zu besuchen: https://werteinitiative.de/.

Aktivitäten

Demoaufrufe am 14.01.24: 100 Tage Gefangenschaft – Bring them home now!

100 Tage Gefangenschaft – Bring them home now!

Wir rufen Euch auf, Euch den weltweiten Kundgebungen für eine sofortige Freilassung der Geiseln anzuschließen. In Berlin, Düsseldorf, Frankfurt und München finden am 14.01.2024 Demonstrationen statt.

14.01.2024
13 Uhr Berlin: Mauerpark, Schwedter Straße/Gleimstraße
Es werden Angehörige der Geiseln aus Israel anwesend sein. Abschlusskundgebung u.a. mit dem israelischen Botschafter Ron Prosor.
Organisiert von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft e.V.

14 Uhr Düsseldorf: Schadowplatz
Es werden Menschen aus Politik und Gesellschaft zu Ehren der Geiseln sprechen.
Organisiert von: Jüdische Gemeinde Düsseldorf, JSV NRW, Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein K.d.ö.R., Kehila NRW, Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe K.d.ö.R., Synagogen-Gemeinde Köln

11 Uhr Frankfurt: Eiserner Steg
Ride to bring them home now – 3km Fahrradtour zum Hafenpark/Osthafen
Organisiert von Bici Bus, Frankfurt

15:45 Uhr München: Marienplatz/Fischbrunnen
March for the Hostages – Run for their lives. Kommen Sie in roter Kleidung, Israelfahnen willkommen
Gegründet von Guy und Jill, findet jeden Sonntag statt.

11 Uhr Hamburg: Krugkoppel 1/ Trimmfit an der Alster
March for the Hostages – Run for their lives.
Findet jeden Sonntag statt.

136 Menschen, darunter auch ein vierjähriges Kind und ein zehn Monate altes Baby, befinden sich weiterhin als Geiseln im Gazastreifen, ihr Schicksal ist ungewiss. Zwei weitere Geiseln sind seit 2014 in der Gewalt der Hamas.

Unsere Gedanken sind bei den Verschleppten und ihren Angehörigen und den Menschen, die ihnen nahestehen. Wir können nicht hinnehmen, dass sie vergessen werden. Wir können nicht ruhig zu Hause sitzen, während die Entführten getrennt von ihren Lieben in Lebensgefahr im Gazastreifen festgehalten werden.

Am Sonntag werden sie seit 100 Tagen in der Gewalt der Hamas sein – doch jede weitere Minute ist eine zu viel.

Bring them home now!

Kommt zahlreich!